
«Verdis Romeo-und-Julia-Prinzip»
«Verdis Romeo-und-Julia-Prinzip»
Am 17. Mai feiert Giuseppe Verdis frühes Opernjuwel im Luzerner Theater Premiere: Sopranistin Eyrún Unarsdóttir und Operndirektorin Ursula Benzing sprechen über Luisa Miller.
Ursula Benzing: Die Frauen in den Opern des 19. Jahrhunderts sind begehrt. Doch wollen es ihre Geschichten, dass sie am Ende meistens sterben müssen. Und das, nachdem sie sich in einer manchmal auch räumlichen Enge behaupten mussten. Wer sich hier nicht den gängigen Normen fügt, sich ausserhalb von Familienstrukturen bewegt, riskiert sein Leben. Wenn wir bei Giuseppe Verdi bleiben wollen, dann sind es diese Frauen, welchen wir uns in der Oper des Luzerner Theaters annehmen: Violetta Valéry, die Kameliendame oder «La traviata», bei uns erzählt in einem heutigen Kontext als «Lost Violet», und natürlich »Luisa Miller». Die Verdi-Frauen erfordern ein tiefes Rollenverständnis.
Eyrún Unnarsdóttir: Luisa Miller begleitet mich seit über eineinhalb Jahren. Und es ist beinahe immer so bei grossen Partien: Noch bevor die Proben beginnen, haben wir eine Idee, wie eine jeweilige Figur «aussehen» könnte: Welchen Charakters ist sie. Aber erst mit den szenischen Proben dann lerne ich sie besser kennen: Luisa hat viele Facetten.
UB: Was verlangt sie von dir in den drei doch auch musikalisch sehr unterschiedlichen Akten?
EU: Der erste Akt ist stimmlich der Anspruchsvollste. Und das deshalb, weil Luisa da zunächst sehr glücklich wirkt, sie feiert ihren Geburtstag und sie ist total verliebt.

Das «löst» Verdi musikalisch so elegant: Die Melodie klingt leichter, er hat sie dazu auch mit Koloraturen versehen. Im zweiten Akt sehen wir Luisas andere Seite, die der nicht mehr unbekümmert Verliebten. Wie auch! Denn jetzt kommt dieser grässliche Wurm und erpresst sie, weil er ja auch in Luisa verliebt ist und sie will.
UB: Und das um jeden Preis. Die Mittel, die er wählt, um ans Ziel zu kommen, sind furchtbar.
EU: Ja, sie sind manipulativ und erpresserisch. Und er kriegt mich genau da, wo es weh tut: Mit der Liebe zu meinem Vater. Hier zeige ich Stärke, empfinde das tragische Geschehen aber als Strafe.
UB: Luisa wird übel mitgespielt. Sie ist sehr ehrlich und offen. Wir erleben mit, wie sie sich verändert.
EU: Luisa macht eine Entwicklung durch von der Verliebten hin zu einem Menschen, dem schwer ums Herz wird. Denn jetzt setzen ihr der Graf und Wurm zu. Das übersetzt Verdi auch musikalisch: Die Tessitura ist etwas tiefer notiert. Rodolfo ist so eifersüchtig, dass er sagt, ausser mir kann sie keiner haben, lieber sehe ich sie tot. Das ist brutal.
UB: Rodolfo formuliert darüber ganz klar seinen Besitzanspruch. Wenn wir über Machtansprüche sprechen, wirkt es so, als habe der Sohn es nicht anders gelernt, er transportiert das Verhalten des Vaters unreflektiert weiter, denn der tritt seinem Sohn gegenüber auch mit grossen Machtgebaren auf. Luisa steht zwischen allen, genau gesagt, muss sie sich in einem Verein von Männern behaupten.
EU: Sie sagt ihrem Vater sehr deutlich: Ich kann diesen Wurm nicht lieben, eher wähle ich den Tod. Das meint sie ernst. Sie hat einen Brief an Rodolfo geschrieben, in dem steht, der Ort, an dem sie sich treffen, sei das Grab. Das haben sie im ersten Akt auch bereits zum Ausdruck gebracht: Unserer Liebe kann selbst der Tod nichts anhaben.
UB: Dann ist das vielleicht Verdis Romeo-und-Julia-Prinzip. Das, was sie im irdischen Leben nicht leben können, erfahren sie nach dem Tod gemeinsam. Es ist ein romantisches Motiv.
EU: Wenn Luisa das an der Stelle Miller gegenüber wiederholt, fängt auch der Vater an, Druck auf sie auszuüben: Wenn du mich verlässt, dann halte ich das nicht aus.
UB: Was du überzeugend herstellen und darstellen musst, ist das unbeschwerte Verliebtsein der Luisa; die Sängerin Eyrún weiss da längst, dass Rodolfo ihre Luisa am Ende umbringen will. Es gibt gewiss schönere Gewissheiten! Im dritten Akt schliesslich, was ändert sich da?
EU: Im dritten Akt wirkt Luisa auf mich, als hätte sie auch ein Stück weit aufgegeben. Wie soll sie auch mit ihren hochproblematischen «Themen» umgehen, sie gar auflösen?
UB: Wie hören wir Luisa, gibt es einen stimmlichen Unterschied zu den beiden Akten davor?
EU: Luisa ist jetzt eigentlich cool. Davon klingen viele ihrer Töne-
UB: Demnach ist sie nicht resigniert, sondern wissend?
EU: Ja, sie ist schon klug. In diesem grossen Duett mit dem Vater erleben wir den «Switch»; da entwirft sie einen neuen Lebensplan für ihren Vater und sich.
UB: Das ist irgendwie sehr modern. Dennoch, wir sind in der Oper. Da kommt es jetzt nochmals anders. da grätscht einfach der Tenor dazwischen, der dafür sorgt, dass die Titelheldin das nicht überlebt. Eben bis zu nächsten Vorstellung, in der dann wundersamer Weise wieder alles von vorne beginnt. Liebe Eyrún, diese Partie der Luisa anzunehmen, die eigentlich dreier unterschiedlicher Sängerinnen bedarf, das ist mutig, auch eine tolle Chance.
EU: Für mich ist Luisa eine tolle Herausforderung!
... Lesen Sie das ganze Gespräch im Programmheft.
