Fabienne Lehmann

10 Fragen an Fabienne Lehmann

Schauspiel
6. November 2023

Fabienne Lehmann wurde 1996 in Biel geboren und wuchs in Oberwil bei Büren auf einem Bauernhof auf. Nach ihrem Studium der Geschichte und Religionswissenschaft besuchte sie das Literaturinstitut in Biel und schloss 2023 das Studium in Literarischen Schreiben ab. In Ihrem Schreiben setzt sie sich mit soziokulturellen und politischen Ereignissen auseinander und nutzt Interviews, um historische Phänomene mit Erlebnisberichten zu verknüpfen. Fabienne Lehmann ist in der Spielzeit 23/24 Hausautorin am Luzerner Theater.

Liebe Fabienne, du bist seit der Spielzeit 23/24 Hausautorin am Luzerner Theater. Was bedeutet das denn genau?
Das finde ich selber gerade noch heraus. Ich habe mich mit einem Stück hier beworben und werde dieses nun während einem Jahr weiterentwickeln. Im Januar 2025 wird es dann aufgeführt. Bis im Juni bin ich nun hier und kann schauen, wo ich mich überall einbringen kann. Ich finde es toll, hier hereinschauen zu können, weil ich noch nicht oft Einblick hinter die Kulissen eines Theaters hatte.

Wie hast du das Schreiben für dich entdeckt?
Ich höre gerne Leuten zu, wenn sie etwas erzählen, deshalb arbeite ich auch häufig mit Interviews. Damit ich diese Geschichten nicht vergesse, habe ich begonnen, sie aufzuschreiben. Prägend war für mich mein Bachelorprojekt, ein Buch über meine Grossmutter. Dort habe ich gemerkt, dass ich diese Frau zwar kenne, aber ganz viel von ihrer Vergangenheit nicht. Das ginge alles verloren, wenn ich nicht mit den Personen sprechen würde, die noch hier sind. Ich habe mich schon immer für die Vergangenheit interessiert und darum auch Geschichte studiert. Ich finde es sehr spannend, wenn man mit solchen Erzählungen den grösseren Zusammenhang aufzeigen kann – und es auch unterhaltsam ist.

Und das Theater?
Ich hatte eine Gotte in Zürich, die mit mir ins Theater, die Oper und ins Ballett ging. Sonst kannte ich nur unser Dorftheater. Diese Ausflüge waren sehr eindrücklich und haben mir eine neue Welt eröffnet, die ich schon als Kind faszinierend fand. Ich war mit elf sogar mal bei einem Kurs am Luzerner Theater, wo wir ein Stück erarbeitet haben. Ich fand das cool, aber ich weiss noch, dass mir das Kostüm zu klein war – ich war immer grösser als andere Kinder.

Kannst du etwas vom ersten deiner Texte erzählen, der in der Öffentlichkeit vorgetragen wurde?
Das war im «Stücklabor», einem Förderprogramm, durch das ich auch diese Stelle bekommen habe. Ich habe am Literaturinstitut studiert und sie haben diese Kooperation organisiert. Bei einer szenischen Lesung in Basel wurde mein Text «Blau, weiss, grün» präsentiert. Darin geht es um eine Person, die sich in einen Pottwal verliebt. Eine andere Rolle findet das unvorstellbar und die beiden führen ein Streitgespräch. Es gibt auch einen dritten Charakter, der immer wieder reinfunkt und das Ganze zu einem Spiel macht. Das Thema ist die Liebe und wie sie wahrgenommen wird: In wen oder was kann man sich verlieben und was bedeutet das? Mir gefällt das Absurde und die Herausforderung, daraus etwas zu machen. Diese erste Lesung war eine schöne Erfahrung. Die Darstellenden haben den Text intuitiv so umgesetzt, wie ich mir das vorgestellt habe. Das Tollste aber war, die Leute wegen meinem Text lachen zu hören.

Wie bist du zum Luzerner Theater gekommen?
Nebst meiner Kindheitserfahrung haben wir im Gymnasium «Antigone» besucht. Die moderne Inszenierung fand ich sehr ungewohnt – aber spannend. Es hat mir grossen Spass gemacht, nachher mit meiner Lehrerin darüber zu sprechen. Diesen Frühling habe ich mich dann beim «Stücklabor» beworben. Ich habe überhaupt nicht erwartet, dass ich diese Chance bekomme – man kennt mich noch nicht in dieser Szene. Deshalb hat es mich umso mehr gefreut, dass sich das Luzerner Theater für mich entschieden hat, weil sie mein Projekt gut gefunden haben. Es war ihnen egal, dass sie nicht mit einem Namen werben können. Das habe ich sehr geschätzt.

Deine nächste Lesung am Luzerner Theater findet im Format «Readers’ Room» statt. Worauf können wir uns freuen?
Das wird eine szenische Lesung sein: Die Darstellenden Wiebke Kayser und Hugo Tiedje aus dem Ensemble des Luzerner Theaters lesen Texte von mir zum Thema Heimat. Die Vorstellung von Heimat in der Schweiz ist stark mit dem Landleben verknüpft. Ich bin selber auf dem Land aufgewachsen und finde es interessant, dass so viele Aspekte fehlen: die Frauen beispielsweise oder die Gastarbeiter*innen. Für diese Lesung habe ich Szenen geschrieben, die in der Heimat spielen. Es gibt zum Beispiel einen Ausschnitt, wo ein frisch zusammengezogenes Paar streitet, weil die beiden die Geschirrtücher nicht gleich falten. Heimat ist das Oberthema, aber man muss es nicht immer sofort erkennen. Die Geschichten können in einem Haus, einer Wohnung oder einer ganz andere Konstellation spielen.

Was inspiriert dich beim Schreiben?
Ich interessiere mich für Geschichte. Dort gibt es die Disziplin der mündlich überlieferten Geschichte, wo man primär Interviews führt. Das fand ich an der Uni schon toll. Mich inspirieren Gespräche mit Leuten, die von etwas erzählen, von dem ich nichts wusste. Ich habe beispielsweise mal meinen Onkel interviewt zum Aufwachsen auf dem Land und er hat von den Jenischen erzählt. Das ist eine Minderheit in der Schweiz, die teilweise fahrend sind. Ich habe noch nie davon gehört – ich habe Geschichte studiert und hatte keine Ahnung davon. Ich beschäftige mich auch viel mit dem Zusammenspiel verschiedener Generationen. Es gibt viele Fragen, die alle Generationen beschäftigen. Darum schreibe ich auch gerne über Dinge, die in der Vergangenheit liegen. So kann ich für mich relevante Themen aufgreifen, gleichzeitig können sich älteren Zuhörer*innen damit identifizieren. Ich möchte eine Brücke schlagen und mit ihnen ins Gespräch kommen.

Du schreibst sowohl Prosa als auch fürs Theater. Wie ergänzen sich diese beiden Textformen?
Ich ziehe nicht immer scharfe Trennlinien. Bei mir wird oft ein Prosa-Text plötzlich zu einem Theater-Text – oder umgekehrt. Manchmal denke ich mir bei einem Prosa-Text, dass das ein schöner Monolog wäre und dann nehme ich ihn ins Theater. Wenn ich Prosa schreibe, habe ich mehr Raum und Zeit. Es ist egal, ob man den Text in 90 Minuten lesen kann oder in einer Woche. Man hat viel mehr Atem, das finde ich schön. Gleichzeitig gefällt mir beim Theater, dass es kurz und knackig ist. Zudem kann ich mich mehr auf die Sprache fokussieren, weil man im Theater nicht beschreiben muss, dass eine Szene beispielsweise in einem Wohnzimmer stattfindet – man kann es darstellen. Ich schätze es auch, dass man eine direkte und ehrliche Reaktion bekommt. Das ist ein wichtiger Unterschied. Bei Prosa ist man nicht dabei, wenn der Text gelesen wird. Die beiden Textformen ergänzen sich sehr gut.

Kannst du von einem Projekt erzählen, an dem du gerade arbeitest?
Ich überarbeite gerade das Buch über meine Grossmutter. Das Projekt ist sehr persönlich, weil meine Grossmutter sehr wichtig für mich war. Sie war einerseits eine tolle, aber auch eine schwierige Person. Das kann und muss beides nebeneinander existieren. Sie ist im Zweiten Weltkrieg aus Ostpreussen geflohen. Im Text geht es darum, wie über ihre Vergangenheit gesprochen wird – und was nicht erzählt wird. Ich sehe Dinge bei mir oder meinen Geschwistern, die bei meiner Grossmutter ein Thema waren und frage mich, wie sich gewisse Muster über Generationen hinweg einprägen. Auch beschäftige ich mich damit, dass Vorfahren von mir Nazis waren, in der Familie aber liebevoll von ihnen erzählt wird. Ich kann heute nicht mehr mit ihnen sprechen und fragen, wieso sie so gehandelt haben. Sage ich nun, das sind gute oder schlechte Menschen? Ich stelle also viele Fragen auf, die ich nicht beantworten kann, aber ich finde es wichtig, dass man darüber spricht.

Gibt es eine Idee für ein Projekt, dass du unbedingt mal in Angriff nehmen willst?
Ich habe ganz viele Ideen. Ich fände es zum Beispiel witzig, einen Abend im Club zu einer Theaterperformance zu machen. Diesen Kosmos des Ausgehens finde ich sehr interessant, weil so viel passiert. Zudem recherchiere ich viel dazu, wer und was hinter wiederaufkommendem Rechtsextremismus steht und befasse mich mit Einzelgeschichten. Ich weiss aber noch nicht, was ich da Grösseres daraus machen könnte.